Städtebauliche Maßnahmen

Erläuterungsbericht

Wir sind Wirtshaus! Bei der Ideenwerkstatt herrschte ein breiter Konsens darüber, dass das Mathäser in seiner Funktion als Wirtshaus für Ruhstorf unverzicht­bar ist. Kaum jemand war der Meinung, dass das Wirtshaus ver­schwinden solle. Es gibt unzählige Geschichten zu diesem Haus, über die knarzenden Böden, das „klein aber fein“ und den Giggal-Stand. Insofern ist das Mathäser auch ein Teil der Ruhstorfer Identität. Das ursprüngliche Wirtshaus und dessen Charakter bleibt als Herzstück des neuen Mathäser-Areals erhalten. 
Alt und Modern respektvoll nebeneinander. Die klare Architektur, kombiniert mit den von den Ruhstorfer Bürgerinnen und Bürgern gewünschten Rauminhalten und Nutzungsmöglichkeiten – das ist die richtige und zeitgemäße Antwort für die Marktgemeinde als Industrie- und Forschungsstandort. Auf dem Mathäser-Areal entsteht ein multifunktionales Bürgerzentrum, ein Treffpunkt für alle. Hier kommen Jung und Alt, Einheimische und Gäste bei Veranstaltungen zusammen, hier finden ebenso örtliche Vereine eine Herberge. Großen Wert legten die Ruhstorfer zudem auf eine angegliederte Gastronomie, weswegen das alte Gasthaus in seiner ursprünglichen Form bestehen bleibt und von Grund auf saniert wird. Die Freiflächen rund herum werden völlig neu gestaltet, sie charakterisieren unterschiedliche Atmosphären: Im Norden ein kühler, am Wasser gelegener Biergarten, im Süden die windgeschützte Terrasse. Alt und Neu werden somit angemessen respektvoll behandelt und unterschieden. Die Neu- und Umgestaltung des Areals wird zum einen neue Akzente setzen, zum anderen die Ortsmitte attraktiv machen und beleben. Der Entwurf, der beim ausgeschriebenen Architektenwettbewerb einstimmig als Sieger hervorging, stammt vom Münchner Architekturbüro Martin Goldbrunner.

BGM Andreas Jakob bedankt sich bei Renate Kollmeier (li.) der Hauseigentümerin, welche in enger Abstimmung mit Dr. Marina Bimurzayeva (mitte) in nur drei Monaten moderne Praxisräume in der ehemaligen Postfiliale geschaffen hat.

Die Eröffnung einer neuen Allgemeinarztpraxis zum 1. April 2021 in den Räumen der ehemaligen Postfiliale bedeutet den bisher größten Erfolg im Rahmen der Initiative des Marktes Ruhstorf zur Nutzung von Leerständen im Ortszentrum. Nach Schließung der Postfiliale im Jahre 2018 suchten die Eigentümer für 230 qm Büro- oder Gewerbefläche neue Pächter - kein Einzelfall in Ruhstorf.
Mit einem Unterschied: die Eigentümer standen ab Beginn der Leerstandssituation im ständigen Austausch mit der Marktverwaltung und dem Bürgermeister. So wissen beide Seiten über das Potential der Räume, mögliche Folgenutzungen, Bedingungen für den Einsatz städtebaulicher Fördermittel und weitere wichtige Details Bescheid.  Die Entscheidung der Allgemeinärztin Frau Dr. Bimurzayeva die Verlegung Ihres Arztsitzes nach Ruhstorf zu beantragen, erforderte nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung entschiedenes und schnelles Handeln bei der Suche eines geeigneten Raumangebots. Auch die zentrumsnahe Lage und ausreichend Parkplätze waren wichtige Vorgaben. Bei der Suche der geeigneten Immobiler bewehrte sich der enge Dialog zwischen den Beteiligten und die Kooperation zwischen Rathaus, Gebäudeeigentümer und Pächter.
Bereits im Jahre 2014 beauftragte der Marktgemeinderat ein städtebauliches Gutachten über Stärken und Schwächen des Marktzentrums. Mehr als 20 Leersandstände wurden dabei ermittelt. Teilweise handelt sich um Erdgeschossflächen ehemaliger Geschäfte, teilweise um die ganze Immobile. Der Gemeinderat beschloss sich darum zu kümmern.
Die demographische Entwicklung und der Strukturwandel in Folge des veränderten Konsumverhaltens der Leute stellt alle Gemeinden im ländlichen Raum vor große Herausforderungen. Zunehmender Gebäudeleerstand in der Ortszentren weckt Angst und erzeugt ein negatives Klima für notwendige Investitionen. Dies führt unweigerlich mittelfristig zu Versorgungs- und Attraktivitätsverlusten.
Der Marktgemeinderat in Ruhstorf hat dies erkannt und die Initiative ergriffen, da die aktive Mitwirkung der Kommune für die Lösung der Probleme eine wichtige Rolle spielt. Es geht beim Ortszentrum um das „Wohnzimmer einer Gemeinde“, dass man nicht ohne weiteres den freien Kräften des Marktes überlassen darf. Spekulationen mit Immobilien führen sehr oft dazu, dass diese auch in zentraler attraktiver Lage jahrelang ungenutzt bleiben und eine positive Entwicklung des Ortes verhindern.
Durch direkte Kontaktaufnahme des Rathauses mit den Eigentümern von Grundstücken und der Aufrechterhaltung eines ständigen Dialogs erhalten die Beteiligten Einblick in die Zukunftsplanungen des Marktes, womit sich die Chancen für neue nachhaltige Nutzungen enorm erhöhen. Der Markt Ruhstorf konnte so in der jüngsten Vergangenheit wichtige Grundstücke erwerben oder die Eigentümer für das städtebauliche Entwicklungskonzept gewinnen und mit einbinden. Die Neugestaltung der Reitmeierkurve unter Mitwirkung aller Anrainer, das mittelfristige Ziel neue Wohnformen im alten Schloßweg zu etablieren oder die sich gerade in der Umsetzung befindenden Projekte „Neugestaltung des Mathäser-Areals“ mit Bürgerzentrum und „Wasner-Areal“ mit dazugehörigen attraktiven Freiflächen sind gute Beispiele dafür wie ein negativer Trend gestoppt und als Chance für eine Neugestaltung genutzt werden kann. Dieser Prozess braucht Zeit und einen langen Atem.
Kurzfristig kann daher auch die Aktivierung von Leerstand mittels Zwischennutzungen eine gute Möglichkeit darstellen neues Leben in die Räume zu bringen und dieses wichtige Thema öffentlich zu machen. Mit geringen Mitteln kann das vielseitig vorhandene Engagement der Bevölkerung genutzt und unterstützt werden und so können auch schnell sichtbare Ergebnisse erzielt werden. Es geht im ersten Schritt darum kein perfekt saniertes Bauprojekt zu erstellen, sondern die Zwischennutzungen sollen Raum für Kreativität bieten. Sie dienen als Treffpunkt und sind vor allem sichtbares Zeichen für den Aufbruch und den Dialog mit den Leuten Vorort und den Eigentümern. Der Marktgemeinderat hat dies bereits erfolgreich bei mehreren leerstehenden Immobilien praktiziert.
Am Schulplatz direkt gegenüber dem Rathaus entstand Dank dem engagierten Team der Bücherei der neue Standort der Pfarrbücherei, ein wichtiger Treffpunkt. Ganz unterschiedliche Menschen jeden Alters haben hier Zugang zu Wissen und Inspiration.
Ab Mitte des Jahres werden die Rottaler Fotofreunde von Pocking den Raum oberhalb der Bücherei, ehemals „kleine Galerie“ beziehen und mit interessanten Foto-Arbeitsgruppen und Ausstellungen das Ortsgeschehen bereichern. Die Ortsgruppe des BRK Ruhstorf übernahm das leerstehende alte Feuerwehrhaus. Mit viel Eigeninitiative wurden in zahlreichen Stunden die Räume renoviert und so wird das Gebäude seit Jahren sinnvoll als Vereinssitz genutzt. Mit Unterstützung der Marktgemeinde konnte beim Gwandlad’n-Projekt, dem Ruhstorfer Second-Hand-Laden, in der Passauer Straße direkt neben dem alten Kino ein erfolgsversprechendes Zukunfts-Konzept verwirklicht werden, mit dessen Ertrag der Caritas-Ortsverband noch dazu Gutes bewirken kann.
Eine Werkstatt „Reparieren statt Wegwerfen“ wird im Eingangsbereich des alten Bahnhofs einziehen als direkter Nachbar zum Handarbeitskreis. Als kleiner Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit, Abfallvermeidung und Bewusstseinsbildung zur Ressourcenschonung ist diese Idee in Zusammenarbeit mit der rollenden Selbstwerkstatt des Landkreises Passaus und dem Netzwerk Klimabündnis Österreich mit finanzieller Unterstützung durch das Regionalbudget der ILE an Rott und Inn jetzt in der Umsetzungsphase. Für einen Regionalladen mit einer Einkaufsmöglichkeit für verantwortungsbewusste Verbraucher gibt es bereits ein fertiges Konzept. Es braucht hier noch das passende Raumangebot und ein weitere Ladenfläche wird sinnvoll genutzt. Auch leere Schaufenster können mit Einverständnis der Eigentümer für interessante Ausstellungen genutzt werden. Bestes Beispiel ist die Präsentation der interessantesten archäologischen Funde von Rudolf Peschl im Erdgeschoß der Kanzlei Kittel. All diese Projekte sind ein Beleg für die Lebendigkeit und Vielfalt des Ortes. Die Erfahrung zeigt, dass zur Behandlung von Leerständen kein Patentrezept existiert, sondern vielmehr eine hohe Anpassungsfähigkeit an die Situation vor Ort verlangt ist. Wer ist der aktuelle Eigentümer der Immobilie? Für welche Nutzungen ist sie geeignet? Wie ist ihr baulicher und energetischer Zustand? Gibt es bereits Interessenten für eine Sanierung und Umnutzung? Wie hoch ist der Preis für Immobilie, Umbau usw.? Wer finanziert die nötigen Maßnahmen? Gibt es Fördermöglichkeiten? Es sind viele Fragen zu beantworten und jede Immobilie bedarf eines individuellen Sanierungs- und Nutzungskonzeptes.
Verlassene Läden, geschlossenen Gaststätten, sanierungsbedürftige Immobilien, ungepflegte Grundstücke Ortsbilder. Der Handlungsdruck für Verantwortliche nimmt zu. Im Positiven kann im Dorf und kleinen Ortszentren auch ganz konkret gemeinsam erlebt werden, wie eine Neuaufstellung für die Zukunft gelingen kann. In Ruhstorf gibt es bereits gute Beispiele dafür wie man einen Mehrwehrt für alle Generationen erzielen kann.

Lageplan Ausschnitt: Projekt Rahmenplan "Alter Schloßweg" Ruhstorf

Momentan wohnen nur ca. 10 % der Ruhstorfer im Zentrum. Für einen vitalen, funktionierenden Ortskern braucht es wieder mehr Menschen die im Zentrum leben. Verfolgt man dieses Ziel, ist ein erster wichtiger Schritt, Räume zu definieren die künftig als Wohngebiete entwickelt werden sollen. Zu einer Gesamtstrategie gehört es auch, über neue, zeitgemäße Wohnformen in zentraler Lage nachzudenken und deren Potenziale und Qualitäten herauszuarbeiten. Gerade im Zusammenhang mit der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) werden Wohnungen abseits der klassischen Mietwohnung oder des Einfamilienhauses auf der grünen Wiese gefragt sein. So genannte "Boarding Houses", also ein Zuhause auf Zeit, könnte eine dieser neuen Wohnformen sein. Dabei können Mitarbeiter der LfL für mehrere Wochen oder Monate ein Appartement mieten. Aber auch Wohngemeinschaften für Studenten, Betreutes Wohnen oder Betreubares Wohnen für ältere Menschen sowie Mehrgenerationenhäuser für eine lebendige Durchmischung oder attraktive Angebote für Jungfamilien sowie leistbare Startwohnungen für jüngere Menschen sollten Teil eines breiten Angebots sein.

Ausschnitt aus dem Ideenwerkstatt-Protokoll

Von 17. - 19. Mai 2017 errichtete das Team von nonconform im Gasthaus Mathäser ein Pop-up-Büro – das Offene Ideenbüro. Während der drei Tage war das Büro Anlaufstelle für Anliegen aus der Bevölkerung. Ein abwechslungsreiches Programm ermöglichte viele unterschiedliche Diskussionen über Ideen und Vorschläge. Der Infor­mationsaustausch und die Vernetzung untereinander standen ebenso im Fokus wie das intensive gemeinsame Arbeiten.
In den unterschiedlichen Ideenkanälen wurden zahlreiche Beiträge gesammelt. Aus den zwei Wochen vor der Ideenwerkstatt in Ruhstorf verteilten Ideenboxen, dem Ideenforum und der Verbrauchermesse davor kamen viele Vorschläge. Neben den zahlreichen schriftlichen Beiträgen besuchten auch Schülerinnen und Schüler das Offene Ideenbüro und stellten ihre Ideen persönlich vor: Sie diskutierten über ihre Bedürfnisse und Verbesserungsvorschläge für das Zentrum von Ruhstorf. Auch die Eindrücke aller Teammitglieder aus den persönli­chen Gesprächen flossen in das Ergebnis ein.

Ausschnitt Voruntersuchung Markt Ruhstorf a.d.Rott

Speziell kleinere Gemeinden in ländlichen Regionen stehen aktuell vor großen Herausforderungen. Der schon oft zitierte Demographische Wandel wird in unseren Kommunen mehr und mehr sichtbar. Innenbereiche, sprich Ortskerne, sind vielerorts von Leerständen gekennzeichnet. Fachmarktzentren an Ortseingängen führen zu einer Uniformität unserer Orte. Das über Jahrzehnte wahrgenommene Gesicht unserer Ortskerne geht verloren. So stellt sich sehr schnell die Frage: Wie kann diese Negativentwicklung umgekehrt werden? Zur Erarbeitung der Sanierungsziele bzw. eines konzeptionellen Maßnahmenplans zur Ortskernsanierung wird in einem Schritt eine Bestandsanalyse durchgeführt, um ausgehend von Ist-Zustand die Stärken und Schwächen, bzw. Potenziale und Gefahren im Ortskern zu erfassen. In Überlegung mit entsprechenden Ober- und Teilzielen für die verschiedenen Handlungsfelder werden dann konkrete Einzelmaßnahmen definiert - abgestimmt auf die komplexe Gesamtsituation für die verschiedenen Bereiche. In einem weiteren Schritt werden die einzelnen Maßnahmen finanziell eingeordnet und in ihrer Dringlichkeit und Reihenfolge festgelegt.

Das Anwesen Pillhamer Str. 1 (Fl.Nr. 69) stand leer, konnte vom Markt Ruhstorf erworben werden und wurde aufgrund des schlechten Zustands abgebrochen. Es bot sich die Möglichkeit die wichtige fußläufige Verbindung zwischen dem Ortszentrum im Süden (Hauptstraße) und den ausgedehnten Siedlungen im Norden zu stärken und sicherer zu machen. Es konnte der Bürgersteig deutlich verbreitet werden mit angelagerter, kleiner Aufenthaltsfläche gegenüber dem Pfarrheim, einer wichtigen Begegnungsstätte im Ort. Die Freifläche dient somit als öffentlicher Platz und wertet somit auch das Umfeld des Pfarrzentrums auf. Die kleine befestigte Fläche mit Sitzgelegenheiten bietet Aufenthaltsmöglichkeit oder die Möglichkeit zur kurzen Rast bei Einkaufsgängen mit schöner Blickbeziehung zu den Kirchen.

Planung der Neuordnung Leerstand Eckhaus

Das leerstehende Gebäude an der Reitmeier Kurve (Fl.Nr. 33) könnte zugunsten einer deutlich verbesserten Verkehrsführung in diesem Bereich abgebrochen werden. Um jedoch eine städtebaulich negative Baulücke zu vermeiden, sollte in jedem Fall das verbleibende Grundstück wieder bebaut werden – am besten mit einem Wohn- und Geschäftshaus zur Stärkung und Belebung des Ortszentrums.

Umsetzung der Planung

Der Marktgemeinderat hat sich auf Grundlage eines Entwicklungskonzepts für den Ortskern von Ruhstorf zum Ziel gesetzt, eine attraktive und lebendige Ortsmitte zu erhalten. Unter Einbindung der Bevölkerung und mit Hilfe der städtebaulichen Förderungen der Regierung von Niederbayern, der staatlich geförderten Straßenbaumaßnahme und einem privaten Investor, der an der neu gestalteten Reitmeierkurve ein Wohn- und Geschäftshaus errichtete, konnte das Projekt innerhalb eines Jahres umgesetzt und verwirklicht werden. Es entstand ein modernes Wohn- und Geschäftshaus mit acht Wohneinheiten und zwei Geschäften im Erdgeschoss (Café und Bäckereifiliale und Physiotherapie) in ansprechender Architektur. Das städtebauliche Umfeld mit großzügigen barrierefreien Geh- und Vorflächen zu den Gebäuden wertet den öffentlichen Raum erheblich auf.